Währungs- und Entwicklungspolitik des Grauens - Blut an den Händen des Westens (Teil II)

Währungs- und Entwicklungspolitik des Grauens - Blut an den Händen des Westens (Teil II)

Der zweite Teil der Reportage rund um die Ausbeutung der dritten Welt durch den IWF und die World Bank. Wie durch Verschuldung und Umgarnung von Diktatoren die kolonialen Verhältnisse gewahrt werden.

Phil Lojacono

Die letzte Woche als Beispiel westlicher Arroganz verwendete Fussball WM fand am Sonntag ein Ende. Und was für Eines. Ein grandioses, an Dramatik kaum zu überbietendes, Fussballspiel. Selbst für nicht Fussball-Interessierte grandios und sehr emotional. Die Videos der feiernden Argentinier gehen um die Welt und öffnen die Herzen aller. Insbesondere wenn man weiss, wie die Bevölkerung sonst leidet und was sie in den letzten Jahren durchmachen musste. Wir sollten nicht vergessen, dass diese Bilder der Freude leider nicht auf den argentinischen Alltag zutreffen. Und leider sollten wir auch nicht vergessen, dass wir aus der westlichen Welt einen Anteil an der Misere der dortigen Bevölkerung beitragen. Deshalb folgt heute Teil II (Teil I) der Recherche rund um die Ausbeutung durch den IWF und die World Bank.

TLDR Teil II - Alles was du wissen musst, in weniger als 60 Sekunden

1. Das Ende des Kolonialismus bedeutete grosse Herausforderungen für die ehemaligen Kolonialmächte. Europa und die USA haben über Jahrzehnte von günstigen Rohstoffen und beinahe inexistenten Personalkosten profitiert. Der komplette Wegfall dessen hätte stark steigende Kosten oder hohe Inflation für den Westen bedeutet.

2. Als Ersatz fing der IWF und die World Bank in den 1960er Jahren mit monetärem Kolonialismus an. Sie liehen im grossen Stil Geld an Entwicklungsländer. Diese Kredite sind A) mit Zinsen belegt und B) mit Anforderungen an strukturelle Anpassungen verbunden.

3. Aufgrund der hohen Zinsen ist der Geldfluss seit 1982 negativ für die Entwicklungsländer. Seit 40 Jahren fliesst mehr Geld in Form von Zinsen und Rohstoffen aus dem Süden in den Norden, als sie in Form von Hilfskrediten erhalten. Insgesamt haben Entwicklungsländer schon USD 7.15 Billionen - und damit mehr als das BIP von Frankreich und Deutschland zusammen - an Schuldzinsen bezahlt.

4. Das Finanzierungssystem des IWF und der World Bank existiert heute noch und ist insbesondere für Diktatoren höchst interessant. Das Schneeballsystem ermöglicht es Kredite zu refinanzieren und begünstigt Tyrannen, welche lieber selber profitieren als ein langfristig erfolgreiches Land aufzubauen. Dem IWF und der World Bank kommt das entgegen, da die westliche Welt massiv von den Krediten und den Rohstoffen profitiert.

Die Schuldenfalle: IWF und World Bank als Kredithaie

Die World Bank bezeichnet ihre Mission als "Hilfe, den Lebensstandard der Entwicklungsländern mit Hilfe der Ressourcen von entwickelten Ländern zu steigern".

Die Realität ist aber das genaue Gegenteil.

Während den 60er Jahren floss in der Tat viel Geld in die Entwicklungsländer. Angeblich um den Fortschritt anzukurbeln. Damals wie heute werden diese Geldflüsse als humanitäre Akte bezeichnet. Dass diese humanitäre Hilfe aber ebenfalls damals wie heute mit heftigen Schuldzinsen - und wie wir letzte Woche thematisierten, mit strukturellen Anpassungen - verbunden ist, wird gerne verschwiegen. Durch die Zinsen wird der Betrag, der vom Schuldner zum Darlehensgeber bezahlt wird, schon schnell grösser als die Hilfe.

In der Weltwirtschaft kam dieser Wendepunkt bereits im Jahre 1982. Seit 1982 fliesst mehr Geld vom Süden in den Norden als umgekehrt. Was Mitte der 80er Jahre mit USD 30 Mrd. Schuldzinszahlungen von Entwicklungsländern an die westliche Welt begann, sind mittlerweile mehrere Billionen USD. Um genau zu sein, ist das Total der Schuldzinszahlungen der Entwicklungsländer auf schwindelerregende USD 7.15 Billionen angewachsen. 7.15 Billionen US-Dollar oder anders ausgedrückt, mehr als das BIP von Frankreich und Deutschland zusammen. Und das sind nur die Zinsen.

Insgesamt, d.h. inkl. Amortisation des ursprünglichen Kreditbetrags, haben Entwicklungsländer von 1960 bis 2017 62 Billionen USD zurückbezahlt. Oder das Equivalent von 620 Marshall Plänen, welcher damals nach dem zweiten Weltkrieg zum Wiederaufbau von Europa verabschiedet wurde. So haben Entwicklungsländer bereits im Jahre 2012 USD 1.3 Billionen an Hilfsgeldern erhalten und auf der anderen Seite USD 3.3 Billionen Zinsen bezahlen müssen. Afrika, Südamerika und Teile von Asien haben also 2 Billionen mehr an den Rest der Welt bezahlt, als sie erhielten.

1974 erschien das Buch "The Debt Trap: The IMF and The Third World" von Cheryl Payer. Bereits damals hat sie vor den Folgen der IWF Kredite gewarnt. Damals lag die Gesamtverschuldung der Entwicklungsländer bei USD 46 Milliarden. Fast 50 Jahre ist sie mit USD 8.7 Billionen unglaubliche 189-mal grösser. Länder wie die Philippinen oder Indien schulden also ihren ehemaligen Kolonial-Herrschern 189-mal mehr Geld als bei der Entkolonialisierung.

Die europäische und amerikanische Bevölkerung dürfte sich diesen exorbitanten Zahlen nicht bewusst sein. Zumindest waren sie es mir nicht annähernd in dieser Grössenordnung. Und viele vermuten wohl auch das Herz am rechten Fleck bei den sogenannt humanitären Institutionen. Aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass man seit mehr als 40 Jahren nicht realisiert, dass man hier nichts anderes als Ausbeutung erster Güte betreibt.

In der Privatwirtschaft hört man oft von Kredithaien. Oder im angelsächsischen Raum sind die sogenannten payday-loans auch allgegenwärtig. Kredite, die oft Personen am untersten Ende der sozialen Skala ansprechen und aus denen man praktisch nicht mehr rauskommt. Ein Schulden-Schneeballsystem quasi. Das ist genau dasselbe. Einfach x-tausend mal grösser und auf Stufe Nationalstaaten. Die Bevölkerung der jeweiligen afrikanischen und südamerikanischen Ländern hat gar nie eine faire Chance, sich und die jeweiligen Länder zu entwickeln.

Kolonialismus 2.0

Es gibt mehrere Gründe, wieso sich Europa und die USA nach dem zweiten Weltkrieg so gut erholten und wirtschaftliche Prosperität erfuhren. Insbesondere für europäische Länder war der bis Mitte des 20. Jahrhundert stattfindende Kolonialismus einer davon.

Grossbritannien zum Beispiel hat zu Spitzenzeiten mehr als 50% des gesamten heimischen Budgets durch quasi gratis Arbeitskraft, Baumwolle, Holz und vielen weiteren Rohstoffen ihrer Kolonien finanziert. Wie Utsa und Prabhat Patnaik in ihrem Buch "Capital and Imperialism" schreiben, hat man die Inflation im eigenen Land tief gehalten, indem man in Kolonien quasi Sklaverei betrieb und die Löhne drückte und die Rohstoffe anschliessend nach Hause lieferte. Das Ende der Kolonialisierung stellte dementsprechend ein grosses Problem für die westliche Welt dar.

Ab 1960 wurde das zur neuen Funktion des IWF und der World Bank. Nicht mehr als direkten Imperialismus, sondern vielmehr als monetären Kolonialismus.

Ein Beispiel dafür ist das in Payer's Buch beschriebene MIFERMA Projekt. Kurz vor dem Ende der Kolonialisierung durch Frankreich wurde das Projekt in Mauretanien unterzeichnet und von der World Bank finanziert. Die Eisenerz Mine wurde mit dem einzigen Ziel des Exports von Eisenerz in die westliche Welt gebaut. Beim Höhepunkt machte die 1969 gebaute Mine 30% des Mauretanischen BIP und 75% aller Exporte aus. 72% der Gewinne flossen aber auch ins Ausland. Aufstände gegen das imperialistische Abkommen wurden gewaltsam im Keim erstickt.

Und genau solche Projekte, d.h. eine Kombination von Ausbeutung natürlicher Ressourcen mit finanzieller Represstion, wurden (werden) in allen Entwicklungsländern finanziert. Besonders beliebt waren (sind) Militärdiktatoren als Kreditnehmer. Diese haben eine kurze Zeitpräferenz (lieber heute einen schönen Palast als morgen eine gesunde Wirtschaft) und nehmen gerne Kredite auf Kosten künftiger Generationen auf.

Auch diese Zahlen sind kaum zu glauben. Im Jahr 2015 alleine wurden 10.1 Milliarden Tonnen Rohstoffe und 182 Millionen Jahre Arbeitskraft von armen zu reichen Ländern verschoben. 50% aller Rohstoffe und 28% aller Arbeitstage, welche in Ländern mit hohen Einkommen verwendet resp. produziert werden, werden aus Entwicklungsländern importiert.

Die Freude an Diktatoren

Selbstverständlich braucht es immer zwei Seiten für einen solchen Kreditvertrag. Und natürlich ist der IWF und die World Bank auch nicht alleine Schuld an der Misere der Länder. Die meisten sind katastrophal gemanaged, haben autokratische Führer und sind fernab von einer funktionierenden Demokratie. Und genau da liegt der Hund begraben - das spielt dem Westen leider in die Hände. Dazu das wenig schmeichelhafte Zitat des ehemaligen US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt nach seinem Treffen mit dem Herrscher von Nicaragua, Anastasio Somoza: "He may be a son of a bitch, but he's our son of a bitch."

Payer belegte bereits 1974, dass bei den Militär-Coups Brasilien 1964, Türkei 1960, Indonesien 1966, Argentinien 1966 und Philippinen 1972 allesamt IWF kritische Leader abgesetzt und durch IWF freundliche Herrscher ersetzt wurden. 1979 folgte der Entwicklungsforscher Kevin Danaher und zeigte auf, dass 15 der repressivsten Diktaturen der Welt Geld vom IWF erhalten haben.

Bis 1994 hielt die Kritik am IWF und an der World Bank auch noch an und war entsprechend laut. Es gibt viel Literatur und Kritik dahingehend. Interessanterweise ist diese Kritik in den letzten Jahren grossmehrheitlich verschwunden - obwohl sich nichts geändert hat. Neben den oben erwähnten ist insbesondere auch das 1994 erschienene "Perpetuating Poverty" von Ian Vasquez und Doug Bandow spannend. Im Gegensatz zu den anderen eher sozialistisch angehauchten Kritiken, schauen sich Vasquez und Bandow das Ganze aus einer liberalen Sicht an.

Sie kommen aber zum gleichen Resultat: "Der IWF finanziert jedes Regime. Egal wie korrupt und brutal. Nur ein paar Wochen nach dem Blutbad bei Tiananmen hat der IWF ein Seminar zur Geldpolitik in der Stadt abgehalten. Dasselbe gilt für Burma, Pinochet's Chile, Laos, Nicaragua, Syrien und Vietnam. Für den IWF gibt es keinen Diktator, den sie nicht mögen."

Der Übersicht halber gehen wir hier nicht auf sämtliche Kredite an Diktatoren ein, sondern konzentrieren wir uns auf zwei Beispiele. Für weit mehr Information und Beispiele sei das Essay von Alex Gladstein "How the IMF and World Bank repress poor countries and funnel their resources to rich ones" wärmstens empfohlen.

Der burkinische Diktator Blaise Compaoré und der ehemalige Direktor des IWF, Dominique Strauss-Kahn.

Im Juli 1987 hat sich der damalige Revolutions-Führer von Burkina Faso, Thomas Sankara, geweigert, die Schulden an den IWF zu bezahlen. In einem Speech bei der OAU (Organisation of African Unity) in Äthiopien forderte er andere afrikanische Länder auf, sich seinem Beispiel anzuschliessen. Er sagte, sie seien allesamt nicht verantwortlich für diese Schulden.

Drei Monate später war er tot. Ermordet durch Blaise Compaoré und seinen Gefolgsleuten. Nur kurz nach dem Tod von Sankara installierte Compaoré sein 27 Jahre lang andauerndes Regime, bevor er 2014 abgesetzt wurde und an die Elfenbeinküste fliehen musste. Während den 27 Jahren hat er vier "Strukturanpassungs-Kredite" des IWF und etliche Kredite der World Bank aufgenommen. Wohin das Geld genau floss ist nicht klar. Aber dass das Vermögen von Compaoré auf mehrere hundert Millionen USD geschätzt wird und er auch im Jahre 2022 (acht Jahre nach der Flucht) angeblich USD 96 Millionen pro Jahr verdiente ist eigentlich selbsterklärend.

Der ehemalige Diktator von Zaire (heute demokratische Republik Kongo) Mobutu Sese Soko und der damalige US-Präsident Richard Nixon im Jahre 1973

Ein weiteres schauriges Beispiel ist der grausame Herrscher der Republik Kongo (früher Zaire) Mobutu Sese Soko. Mobutu erhielt während seiner blutigen 32-jährigen Herrschaft Milliarden von Dollar an IWF und World Bank Krediten, kassierte 30% der eingehenden Hilfe direkt selber ein und liess sein Volk hungern. Er befolgte 11 Strukturanpassungen des IWF. Während einer dieser geforderten Anpassungen im Jahr 1984 wurden 46.000 Lehrer an öffentlichen Schulen entlassen und die Landeswährung um 80 % abgewertet. Mobutu nannte diese Sparmassnahmen "eine bittere Pille, die wir leider schlucken müssen". Er selber verkaufte aber natürlich keinen seiner 51 Mercedes, keines seiner 11 Schlösser in Belgien oder Frankreich und auch nicht seine Boeing 747 oder sein spanisches Schloss aus dem 16. Jahrhundert.

Das Pro-Kopf-Einkommen sank in jedem Jahr seiner Herrschaft um durchschnittlich 2,2 %, so dass mehr als 80 % der Bevölkerung in absoluter Armut lebten. Kinder starben routinemässig vor dem fünften Lebensjahr. Es wird geschätzt, dass Mobutu persönlich 5 Milliarden USD gestohlen und weitere 12 Milliarden USD an Kapitalflucht geleitet hat. Zusammengenommen wäre das mehr als genug gewesen, um sämtliche Schulden seines Landes in der Höhe von 14 Milliarden USD zu tilgen. Er plünderte und terrorisierte sein Volk. Ohne den IWF und die World Bank wäre das nicht möglich gewesen. Sie refinanzierten ihn weiterhin gütig, obwohl allen klar war, dass die Schuld nie zurückbezahlt werden kann. Aber an den Zinsen profitieren will man trotzdem.

Ich hoffe, 2-3 Leserinnen und Lesern ein bisschen die Augen geöffnet zu haben. Das nächste Mal wenn irgendjemand sagt, die hätten halt einfach ihre Länder nicht im Griff, hätten eine laissez-faire Kultur oder seien gar zu faul um eine vernünftige Wirtschaft auf die Beine zu stellen, ja dann denkt bitte daran, diese Länder haben gar keine Chance. Und wir aus dem Westen tragen einen grossen Teil der Verantwortung dafür.

Weitere Ressourcen und was als Nächstes folgt

Wie bereits Teil I ist auch Teil II stark inspiriert durch das Essay von Alex Gladstein, seines Zeichens CSO der Human Rights Foundation:

STRUCTURAL ADJUSTMENT: HOW THE IMF AND WORLD BANK REPRESS POOR COUNTRIES AND FUNNEL THEIR RESOURCES TO RICH ONES

Wer sich den ganzen Text anhören will (Englisch), kann das gerne bei "Bitcoin audible" tun:

Im dritten Teil der Recherche setzen wir uns dann endlich mit Lösungen auseinander. Wie kommt Afrika, Südamerika und andere unterentwickelte Regionen aus diesem Schlamassel raus und wie können wir aus Europa und den USA helfen, gemeinsam eine fairere Welt für alle zu schaffen.

Meme of the week: Ja was denn jetzt?

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